Dienstag, 3. August 2010

Dokumente zum Hermersdorfer Vampirvorfall

Im Zuge meiner Recherche nach dem Hermersdorfer Vampirskandal 1755 und dem daraus erfolgten “Vampirerlass” Kaiserin Maria Theresias vom 1. März 1755 habe ich in dem umfangreichen medizinischen Werk Codex sanitario-medicinalis Hungariae des Arztes Franz Xaver Linzbauer auf den Seiten 722-725 die Korrespondenz der Kaiserin ausfindig machen können. Es handelt sich dabei um zwei Briefe und das abschließende Protokoll der Untersuchungskommission. Der erste Brief enthält die Weisung Maria Theresias, fähige Ärzte zu der Untersuchung des Vampirvorfalls zu bestimmen. Der zweite ist an die zuständige Behörde in Schlesien gerichtet, mit der Weisung die abgeordneten Kommissare mit allen Mitteln bei der Aufklärung des Falles zu unterstützen. Das Abschlussprotokoll des Falles ist auf den 17. März 1755 datiert und erklärt den ganzen Sachverhalt um die vermeintlich vorhanden gewesenen Vampire für reinen Aberglauben.


Casus in Silesia


1. Brief: An den obersten Kanzler Grafen von Haugvitz. Er soll bei van Swieten sich umfragen um einen Chrirugum. Wann er diese abergläubige Menschen könnte überzeigen von der Wahrheit, - täte er dem publico einen großen Dienst. Ihme (dem Chirurgo) Diäten-Gelder mitgeben. Wien den 8. Februar 1755. Maria Theresia.

2. Brief: An die böhmisch-schlesische Representation und Kammer. Maria Theresia etc. aus dem von unserem obersten Kanzler an dich Präsidenten gestern erlassenen Schreiben, bist du bereits verständigt worden, welcher gestalten wir von dem zu Hermersdorf vorgekommenen Vorfall der sogenannten Vampir oder Blutsauger auf das Genaueste benachrichtiget sein wollen.
Zu dem Ende wir, um die eigentliche Beschaffenheit zu erforschen den Anatomum Johannes Gosser, dann dem Feldmedicum Christian Vabst, dahin abschicken, welche nicht nur allein die ausgegrabenen Körper besichtigen, sondern alle Umstände, die dabei in obacht genommen werden können, wohl untersuchen, mithin ein solches Visum et repertum einnehmen, auch sonsten alles vorkehren sollen, wodurch die Naturkundige instand gesetzt werden: die wahre Bewandnis zu beurteilen und solche der Welt zu erkennen zu geben
Ihr werdet demnach eures Orts gleich bei derselben Ankunft bedacht sein, dem Landesältesten nachdrücklich anzubefehlen: daß er sich mit ihnen ohne Verschub ad locum verfüge. Einfolglich nach Erfordernis sowohl Assistendo als Protegendo in allweg anhand stehen und selbe sicherstelle. – Hiernächst aber wird er Landesälteste mit Zuziehung und im Beisein beider vorbenannten Komissari mittelst eines ordentlich darüber zu führenden Protocolli, welches von allen gefertigter in Originali anhero einzusenden ist, alles Fleißes untersuchen und auf den wahren Grund zu gelangen trachten: Wen, auf was Art und Weis, seit wann und zu was Zeit, auch wie oft diese sogenannte Vampir oder Blutauger andere, und zwar benanntlich beunruhige und in was Gestalt sich solche sehen lassen haben, folgbar, wie und warum sowohl dem Geplagten als anderen Leuten im Ort ein solches glaubwürdig geschienen? Zumal wir von ein und andern so ausführlich als verlässlich fördersamst informiert sein wollen.
Wien den 9. Februar 1755. Maria Theresia M. P.

Protocollum directorii in publicis et cameralibus.
Wir nahe ddto 17. Martii 1755. Bericht über die in Angelegenheit der angeblichen Vampirs in Hermersdorf (Schlesien) durch die delegierte Hofcommission vorgegangene Untersuchung. Der ganze Hergang der Sache ist ärgerlich. Votum. Dieser nunmehro durch die fürgeweste Untersuchungskommission vollständig eruierte Hergang der Sachen ist sowohl an Seiten des Geistlichen als weltlichen Gerichts nichts anders, als ein aus verderbter Einbildungskraft, und stärflichen Vorurteilen herrührender Zusammenhang abscheulicher Superstitionen, und unverantwortlicher Illegalitäten.
Man betrachte entweder die bei diesen Verfahren zum Grund genommenen Indicia, woraus die denen Verstorbenen angeschuldete angebliche Magia posthuma gefolgeret, und wessentwegen ihre entseelte Körper sofort von dem geistlichen Gericht der weiteren Ruhe auf einen geweihten Ort für unwürdig erkennet, dann von dem weltlichen Gericht zum Feuer verdammet worden, oder auch die Art und Weis des mit diesen Körpern vorgenommenen Verfahrens, so veroffenbaret sich ein – als andererseits eine grobe Unwissenheit, und ein umso sträflicheres Unternehmen, je mehrere Ärgernus dadurch dem einfältigen Bauren-Volk gegeben;- und von der Geistlichkeit, welcher nach denen Pflichten ihres Berufs diesen eingewurzelten Wahnwitz auszurotten obgelegen wäre, die gesunde Vernunft und die Grundfeste der Religion bestritten werden.
Den Ungrund deren ersteren, welche in der Unverwestheit deren Leibern, und Biegsamkeit deren Gliedmaßen, dann beengst – und Beunruhigungen deren Lebenden bestehen sollen, hat der Leib – und Protomedicus Freiherr van Swieten in seiner darüber verfassten Deduction standhaft dargetan, und mit unwiderleglichen Beweistumen gezeiget, dass die Erhaltung deren Körperen von der Verwesung auch unter der Erden durch mehr oder weniger Zeit aus ganz natürlichen und zufälligen Ursachen als da seiend: die Umstände der Krankheit, die Hitze, oder Kälte der Luft, die Beschaffenheit des Erdbodens und dergleichen mehrere, herrühren könne, mithin hieraus, dass bei denen Exhumierten, und Verbrennten 19 Körpern noch einige unverfaulte und biegsame Teile wahrzunehmen gewesen, mit so wenigeren Bestand ein Indicium des Vampirismi habe gefolgeret werden können, als auch bei jener für unverdächtig gehaltenen und noch von denen anderen zur Erde bestatteten zu diesem Ende geflissentlichen exhumierten Körpern von denen Kommissariis Wabst und Gasser einige unverfaulte Teile, und sogar in deren einen etwas weniges Blut befunden worden. Dahingegen die in denen Aussagen deren eidlich abgehörten Leuten hervorkommende nächtliche Beängst- und Beunruhigungen in nichts anderem, als einem vermeintlichen Drucken, und eitlen Träumen bestehe, deren Ursprung teils der durch tägliche Anhörung deren Erzählungen, eingenommenen Einbildungskraft, und der Wirkung der daraus entstehenden gräulichen Furcht, teils deren von Brustkrankheiten, mit welchen viele deren vorgeblich gedruckten Personen nachdem von denen zweien Kommissariis veranlassten Untersuchung behaftet wären, verursachten Ängstigkeiten beizumessen sei; Aus dem allem gänzlich erhellt, wie falsch, und betrüglich die vermeindliche Indicia der Magiae Posthumae seien, dasjenige zu geschweigen, was in denen Inquisitions-Actis von einer gewissen Marianna Saligerin, oder sogenannten Richter-Wenzlin, welche 18 Wochen vordeme begraben, und für die Ursache alles Übels gehalten worden, vorgegeben wird, maßen die ihr angeschuldete Superstitiones mitnichten erwiesen, und also vermöge rechten nicht ein Indicium ad inquirendum, folglich umso weniger eine rechtsbeständige Probe ad condemnandum abgeben können. Nun aber auf die Art und Weis dieses grausamen und abscheulichen Verfahrens zu gelangen, so ist doch das Verbrechen der Zauberei, wobei es auf keinen Irrtum in Glaubenssachen, sondern auf einen Bund mit dem bösen Feind ankommet, kein solches Crimen, dessen Untersuchung denen Consistoriis unterliegte, sondern es gehört unstreitig zu dem weltlichen Gericht, woran in den böhmischen Erblanden sich umso weniger zweiflen laßt, als die darin gesetzgebig vorgeschriebene josephinische Criminal-Instruction wie in Crimine magiae zu verfahren sei, Ziel und Maß setzet. Es hat daher die Untersuchung und die Erkanntnis über die angebliche magiam posthumam um die auf dessen Veranlassung exhumierte Körper, ehe und bevor die Verstorbene von dem behörigen weltlichen Gericht durch einen ordentlichen abbeführten Prozess für wirkliche Zauberer erkennet worden, der sepulturae in loco sacro für unwürdig zu erklären, (nicht weiter zu geschehen).
Am allermeisten aber ist zu bewundern das ganze Verfahren, wobei so viel abergläubische Dinge: Als der Gebrauch einer zur incision deren Körpern eigens neu verfertigten Ritz-Hacken; die Öffnung eines Lochs durch die Mauer des Friedhofs, wodurch die Körper herausgetragen worden, der Zwang und Anhaltung deren eigenen Kindern und Freunden zu deren Herausschleppung; dann die Verbrennung der Totenbahre, Leichentuch, Erde aus den Gräbern, dann deren Stricken und Kreuzen, und dergleichen ärgerliche Superstitiones mehr unterlofen, dass sich dadurch der obrigkeitliche Gerichts-Verwalter weit mehr verdacht eines sträflichen Aberglaubens, und zauberischen Handlungen, als die entseelten Körper deren jenigen, welchen man bei ihren Lebzeiten nicht das geringste zu Last legen können, zugezogen, und ex hoc capite mit weit stärkerem Grund als jene, welche sie unschuldigerweis zum Feuer verdammet, sich strafmäßig gemacht haben.
Der Freiherr van Swieten schlüsset demnach in seiner Deduction ganz recht, dass dieser Vorgang nicht anders, als für ein offenbares Sacrilegium und Verletzung deren Gräbern anzusehen, und dergleichen Missbräuchen Einhalt zu tun ohnumgänglich notwendig sei.
Gleichwie aber diesen Unfug für das künftige durch das Generale vom ersten Martii diesen Jahrs allschon abhelfliche Maß verschaffet worden; also beruhet es nur an deme, wie in gegenwärtigem Vorfall sowohl das strafmäßige Vergehen wider die hieran schuldige Personen zu ahnden als auch wie das in dortigen Gegend von diesem Aberlauben so sehr eingenommene Volk von solchen Vorurteilen ab, und auf den rechten Weg zu bringen seie?
Es hat Der Wahnwitz und Aberglauben dem dortigen Dorfsleuten schon seit überhand genommen, dass nicht allein die Breitensdorfer Gemeinde sich von dem mit denen Hermersdorferen gemeinschaftliche Begrabnus-Ort abzusondern angesuchet, sondern sich auch die Kranke, und schwangere Weiber von dorten mit größter Lebensgefahr hinwegtragen lassen, um nicht mit der Magia posthuma angesteckt zu werden und so nach ein gleiches Schicksal mit denen verbrenneten Körpern zu erfahren.
Es wäre daher nicht allein so ein als anderes ernstlich zu untersagen, sondern auch dem Landesältesten, dass er hierob die sorgsamsten Obsicht tragen, und jene, welche sich dem Verbot nicht fügen wollten, zur behörigen Bestrafung anzeigen wolle, nachdrucksamst einzubinden.
Nachdem jedoch dem so tief eingewurzelten Wahn nicht abgeholfen wird, sondern ausgiebigere Mittel erfordert werden, welche sowohl die Leute in dem wahren Begriff ihres bisherigen Irrtums zu setzen, und die eingebildete Furcht auszurotten, als auch ihnen zu ihren vorigen durch derlei fürchterliche Vorbildungen nach deren Relation deren Kommissarien merklich geschwächten Gesundheitsstand zu verhelfen vermögend wären.
So könnten zu solchem Ende einerseits aus dem Troppauer Jesuiter Collegio ein oder zwei geschickte dem Werk gewachsene Geistliche um die Leute mittelst geistreichen Vorstellungen von ihrem Irrtum alles möglichsten Fleißes abzuleiten, und mit der Auflage sich alldort nach erheischender Notdurft durch vier oder sechs Wochen aufzuhalten, mittels der schlesischen Representation dahinbeordert, und ihnen zu besserer Überlegung des Irrwahns die Freiherr van Swietensche Deduction zugestellet, nicht minder dem Kardinal um ihnen alle nötige Assistenz und Vorschub zu leisten, wie auch durch die dortige Seelsorger dem Volk die Abscheulichkeit dieses Irrwahns gründlich vorstellen, und dasselbe in denen wahren Principiis der gesunden Vernunft und Religion unterrichten zu lassen, bedeutet werden; andererseits aber wäre der k. k. schlesischen Repräsentation anzubefehlen, nicht nur denen dahin beorderten Missionarien in ihren geistlichen Verrichtungen ihres Orts beförderlich, sondern auch dahin auf das schleunigste bedacht zu sein, damit der dortige Landes-Physicus dahin abgeschicket, und denen kranken Leuten mit denen nötigen Medicamentis beigesprungen werde, wovon sie den Erfolg nebst dem Fortgang deren Missionen seinerzeit anhero anzuzeigen hätte; vornächst sowohl der schlesischen Repräsentation jenes, was in Sachen an den Kardinal-Bischofen erlassen wird, als der mährischen dieses, was an vorige beide ergeht, zur Nachricht beigeschlossen, die so gründlich gefasste Br. Van Swietensche Deduction aber, um die Welt von ihrem Irrtum zu überzeugen, und die Leute in bessere der gesunden Vernunft gemäße Begriffe von der Sache zu setzen, nach derselben vorläufiger Transferierung in das Latein, in deutscher und lateinischer Sprache zum Druck aufgelegt werden könnte. Placet. Maria Theresia M. P.



Keine Kommentare: