Montag, 22. September 2008

Kisolova 1725 - Die Geburtsstunde des Vampirmythos?


Einer der wohl bekanntesten Fälle von Vampirismus, und gleichzeitiger Auslöser der großen Leipziger Vampirdebatte 1725 – 1734, ist der des Peter Plogojovitz aus dem Flecken Kisolova, dem heutigen Kisiljevo in Serbien. In die Welt gebracht wurde die folgenschwere Meldung durch den österreichischen kaiserlichen Verwalter Frombald im Regierungsbezirk Gradiska. In dem genannten Dorfe begab es sich nämlich, dass innerhalb von acht Tagen neun Personen nach kurzer, heftiger, nach Frombalds Bericht, nur 24-stündiger Krankheit verstarben. Die Einwohner des Dorfes hatten als Ursache für die Todesfälle einen vor bereits zehn Wochen vorher gestorbenen Bauern, Peter Plogojovitz, ausgemacht. Die Menschen sagten aus, dass dieser, als ein blutsaugendes Gespenst des Nachts über sie herfiele und ihnen das Leben raube. Eine Gesandtschaft des Dorfes verfügte sich darauf zu der Verwaltungsbehörde nach Gradiska, um Frombald dazu zu bewegen, die Erlaubnis zur Exekution des vermeintlichen Vampirs zu erteilen. Der Verwalter wies die Gesandten darauf hin, dass er erst eine Anfrage diesbezüglich zur obersten Regierungsstelle nach Belgrad senden müsse; sie sollten die Antwort darauf abwarten. Die Gesandtschaft drohte Frombald jedoch damit, dass die Einwohnerschaft das Dorf samt und sonders verlassen würde, wenn man ihrem Begehren nicht stattgeben wollte, mit der Begründung, dass das ganze Dorf bis dahin von dem Vampir ausgerottet sein werde, wie es bereits schon unter türkischer Herrschaft, die im Jahre 1718 endete, bereits geschehen wäre. Da Frombald nicht riskieren konnte, dass die Bewohner des Dorfes ihre Drohung wahr machten, - die Bauern waren aus militärischen Gründen in der unsicheren Grenzgegend zum Türkischen Reich unverzichtbar, - sah er sich genötigt mit ihnen zu kommen und die Angelegenheit selbst in Augenschein zu nehmen.
Die bei seiner Ankunft bereits ausgegrabene (!) Leiche des Peter Plogojovitz zeigte zu seiner Verwunderung nicht die geringsten Anzeichen von Verwesung; auch lies sich kein schlechter Geruch feststellen, ungeachtet, dass sie seit zehn Wochen beerdigt war. Ferner stellte Frombald fest, dass Haare und Bart an der Leiche gewachsen zu sein schienen, auch dass sich eine neue, rosige Haut bildete, nachdem die alte sich vom Körper gelöst hatte; ein Gleiches geschah mit den Fingernägeln. Besonders erstaunt stellte er fest, dass sich in dem Mund Plogojovitz’ frisches Blut befand. Frombald ließ es darauf zu, dass die Einwohner des Dorfes dem vampirischen Toten einen angespitzten Pfahl durch die Brust schlugen, wobei, wie Frombald bemerkte, frisches Blut in großer Menge nicht nur aus der Wunde, sondern auch aus Mund und Ohren floss. Danach wurde der Leichnam zu Asche verbrannt. Der Verwalter verfertigte darauf nach seiner Rückkunft an seinem Amtssitz einen Bericht über die Beschaffenheit des Falles und die Umstände der Exekution der Leiche, datiert auf den 06. April 1724 und sandte jenen, irritiert über das Vorgefallene entweder nach Belgrad, von wo er nach Wien weitergeleitet wurde, oder aber auch direkt nach Wien. Im Wienerischen Diarium vom 21. Juli wurde dieser Bericht dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Nachricht verbreitete sich darauf rasch im Deutschen Reich, und besonders in Leipzig wurde man darauf aufmerksam, so dass der junge Michael Ranft an der dortigen Universität im gleichen Jahre noch eine öffentliche Dissertation zu diese Thema hielt. Erweitert um einen zweiten Teil wurde seine Schrift De masticatione mortuorum in tumulis 1728 zum ersten eigentlichen gedruckten Vampirtraktat. (Seine kurze Dissertation aus dem Jahre 1725 liegt gleichfalls in einem kleinen, nur dreiundzwanzigseitigen Druck aus diesem Jahre vor).

Kurioser Weise ereignete sich zur gleichen Zeit (im Jahre 1725, auch im selben Monat) ein ähnlicher Fall von Vampirismus in dem Dorfe Herinbiesch im Distrikt Lugos – Facset/Temesvar, doch da es weder der Verwalter des Distriktes, Johannes Ràc de Mèhadia, noch der kaiserliche Oberinspektor, Baron von Rebenstich für notwendig erachteten, die Behörden in der fernen Hauptstadt mit solchen Dingen zu beunruhigen, blieb dieses Ereignis fast vergessen in den Archiven zurück. Sonst wäre dieser Fall sehr wahrscheinlich mit dem aus Kisolova in einem Atemzug genannt worden und hätte einen identischen Bekanntheitsgrad erreicht. Um jedoch die Vollständigkeit des Artikels zu gewährleisten folgt nun der bekannte Bericht des Verwalters Frombald, wie er im Wienerischen Diarium wiedergegeben ist:

Nachdeme bereits vor 10. Wochen, ein dem Dorff Kisolova, Rahmer-District, gesessener Unterthan, Namens Peter Plogojovitz, mit tode abgegangen, und nach Raitzischer Manier (1) zur Erden bestattet worden, hat sichs in ermeldetem Dorff Kisolova geäußert, daß innerhalb 8. Tagen, 9. Personen, so wohl alte als junge, nach überstandener 24. stündiger Kranckheit also dahin gestorben, daß, als sie annoch auf dem Todt-Bette lebendig lagen, sie öffentlich ausgesaget, daß obbemeldeter, vor 10. Wochen verstorbener Plogojovitz, zu ihnen im Schlaff gekommen, sich auf sie geleget und gewürget, daß sie nunmehro den Geist aufgeben müsten; Gleichwie dann hierüber die übrigen Unterthanen sehr bestürzet in solchem noch mehr bestärcket worden, da des verstorbenen Peter Plogovitz Weib, nachdem sie zuvor ausgesaget, daß ihr Mann zu ihr gekommen, und seine Oppanki oder Schuhe begehret, von dem Dorff Kisolova weg, und sich in ein anders begeben. Sintemal aber bey dergleichen Personen, (so sie Vampyri nennen,) verschiedene Zeichen, als dessen Cörper unverweset, Haut, Haar, Barth und Nägel an ihm wachsend zu sehen seyn müsten, als haben sich die Unterthanen einhellig resolviret (2), das Grab des Peter Plogojovitz zu eröffnen, und zu sehen, ob sich würcklich obbemeldete Zeichen an ihm befinden; Zu welchem Ende sie sich dann hieher zu mir verfüget, und nebst Andeutung vorerwehnten Casus (3), mich samt dem hiesigen Poppen oder Geistlichen ersuchet, der Besichtigung beyzuwohnen: Und ob ihnen schon erstlich solches Factum reprobiret (4), mit Meldung, daß ein solches vorhero an eine Löbl. Administration (5) unterthänig-gehorsamst berichten, und derselben hohe Verfassung hierüber vernehmen müste, haben sie sich doch keinesweges hierzu bequemen wollen, sondern vielmehr diese kurze Antwort von sich gegeben: Ich möchte thun was ich wollte, allein, wofern ich ihnen nicht verstatten würde, auf vorherige Besichtigung und rechtliche Erkandtnus mit dem Cörper nach ihren Gebrauch zu verfahren, müsten sie Hauß und Gut verlassen, weil biß zu Erhaltung einer gnädigsten Resolution von Belgrad wohl das gantze Dorff (wie schon unter türckischen Zeiten geschehen seyn sollte) durch solchen üblen Geist zugrunde gehen könte, welches sie nicht erwarten wollten. Da man dann solche Leute weder mit guten Worten noch Bedrohungen von ihrer gefaßten Resolution abhalten kunte, derohalben habe ich mich mit Zuziehung des Gradisker Poppen (6), in gemeldtes Dorff Kisolova begeben, den bereits ausgegrabenen Cörper des Peter Plogojovitz besichtiget, und gründlicher Wahrheit gemäß folgendes befunden: Daß erstlich von solchem Cörper und dessen Grabe nicht der mindeste, sonsten der Todten gemeiner Geruch, verspühret, der Cörper, ausser der Nasen, welche abgefallen, gantz frisch, Haar und Barth, ja auch die Nägel, wovon die alten hinweggefallen, an ihm gewachsen, die alte Haut, welche etwas weißlich war, hat sich hinweg gescheelet, und eine neue frische darunter hervor gethan, das Gesichte, Hände und Füsse und der gantze Leib waren so beschaffen, daß sie in seinen Lebzeiten nicht hätten vollkommener seyn können: In seinem Munde habe ich nicht ohne Erstaunen einiges frisches Blut erblicket, welches, der gemeinen Aussage nach, von denen durch ihn Umgebrachten gesogen. In Summa, es waren alle Indicia vorhanden, welche dergleichen Leute (wie schon oben bemercket) an sich haben sollten. Nachdem nun sowohl der Popp, als ich dieses Spectacul gesehen, der Pöbel aber mehr und mehr ergrimmter als bestürtzter wurde, haben sie, gesammte Unterthanen, in schneller Eil einen Pfeil gespitzet, mit solchem den toden Cörper zu durchstechen, an das Hertz gesetzet, da dann bey solcher Durchstechung nicht nur allein häuffiges Blut, so gantz frisch, auch durch Ohren und Mund geflossen, sondern auch andere wilde Zeichen (welche wegen hohen Respect umgehe) (7) vorgegangen. Sie haben endlich offtermelten Cörper, in hoc casu (8), gewöhnlichen Gebrauch nach, zu Aschen verbrannt. Welches dann E. Hochlöbl. Administration hinterbringen, und anbey gehorsamst unterthänigst bitten wollen, daß, wann hierinnen einen Fehler begangen haben sollte, solchen nicht mir, sondern dem vor Furcht außer sich selbst gesetzten Pöbel beyzumessen.
Actum (9). 6. April. 1725.
Kayserlicher Provisor (10) im Gradisker District.


Fußnoten
1. Nach Raitzischer Manier bedeutet, dem Gebrauch der Rätzen entsprechend. Die Rätzen waren ein kleines slawisches Volk, das als Bauernsoldaten in den türkisch-österreichischen Grenzregionen angesiedelt war und über einen eigenes geistliches Oberhaupt verfügte, dass ihre kirchlichen Belange und Gebräuche befehligte.
2. entschlossen
3. Fall
4. Die Tatsache, der Umstand erklärt wurde
5. d. i. eine übergeordnete Verwaltungs – bzw. Regierungsbehörde
6. Ein Pope. Bezeichnung der Geistlichen der orthodoxen Ostkirche
7. Michael Ranft deutet in seinem Traktat von dem Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern darauf hin, dass Frombald hier den erigierten Penis der vampirischen Leiche meint.
8. in diesem Fall
9. so geschehen, gegeben (als gerichtlich offizielle Datumsangabe)
10. Verwalter


Wem der unbearbeitete Originaltext zu schwierig ist, der kann auf meiner Homepage unter Quelltexte die leserfreundliche Version einsehen.

An dieser Stelle möchte ich auch noch auf den hervorragenden Blog Magia Posthuma von Niels K. Petersen hinweisen, auf dem gerade vor einigen Tagen ein interessanter Artikel über den Vampirfall von Kucklina erschienen ist (darin enthalten ist der Brief des Fähnrich von Kottwitz an Dr. Ettmüller in Leipzig im unbearbeiteten Original). Kucklina ist ein Ort in direkter Nachbarschaft zu Medvegija (bzw. Medwedja), wo ebenfalls, im Jahre 1732, ein Aufsehen erregender Vampirfall bekannt wurde. Doch dazu später mehr.

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